Der würdige Abschied braucht die würdigende Erinnerung

Gedanken eines Trauerredners

Von Jörg Bertsch

Seit rund zwölf Jahren gestalte ich professionell Trauerfeiern. In meinen Ansprachen nenne ich sie auch «Abschiedsfeiern»  oder «Erinnerungsfeiern». Es gehört nämlich zusammen: Das Abschiednehmen. Die Trauer. Das Erinnern.  

Im Mittelpunkt steht für mich die Persönlichkeit des verstorbenen Menschen. Sie möchte ich würdigen. Darum führe ich gern ausführliche Vorgespräche mit den Angehörigen.  Eine Stunde ist das Mindeste, anderthalb Stunden sind die Regel, und wenn es sich ergibt, dürfen es auch mehr sein. Manchmal ist da anfänglich eine gewisse Befangenheit, aber dann erzählen die Hinterbliebenen meistens von sich aus, und es fallen ihnen oft ganz viele charakteristische Details und Begebenheiten ein. Aus dem, was ich da erfahre, versuche ich dann, ein Bild von dem oder der Toten zu extrahieren. Eine Skizze. Oder besser: ein Mosaik, das gerade so viele Steinchen enthält, dass die Trauergäste den Verstorbenen wiedererkennen, aber auch so viele Lücken, dass jeder der Anwesenden das Bild mit seinen eigenen Erinnerungen ergänzen kann.

Der würdige Abschied braucht die würdigende Erinnerung. Was nicht heisst, dass ich Dinge, die nicht so schön sind, schönrede. «De mortuis nihil nisi bene» heißt ja eben nicht, dass man über Tote «nur Gutes» sagen soll. Sondern richtig übersetzt heisst es: «Über Tote (auch über ihre Fehler und Schwächen) soll man nur auf gute Art und Weise reden.»

Humorige Einsprengsel haben durchaus ihren Platz, wenn es um das Gedenken, um die würdigende Erinnerung an einen verstorbenen Menschen geht. Eigentlich sollte an jeder Abdankungsfeier – von ganz tragischen Fällen abgesehen – mindestens einmal gelacht oder wenigstens geschmunzelt werden.

Ein wichtiger Bestandteil einer Trauerrede, wie ich sie verstehe, sind auch Gedanken über Tod und Vergänglichkeit. Ein weites Feld! Auch was ich zu diesen Themen sage, versuche ich auf den Verstorbenen abzustimmen. Sicher sage ich bei einer dezidierten Atheistin etwas anderes als bei jemandem, der sich eher aus Gleichgültigkeit von der Kirche abgewandt hat.

 

Musik ist bei der Abschiedsfeier eigentlich unverzichtbar

Und dann natürlich: die Musik! Sie ist eigentlich unverzichtbar. Musik spricht ohne Worte direkt die Emotionen an. Und etwas viel Emotionaleres als eine Abschiedsfeier gibt es ja kaum. Musik stimmt am Anfang der Trauerfeier ein auf das, was kommt. Etwa in der Mitte habe ich gern ein meditatives Stück, damit die Anwesenden ihre je eigenen Erinnerungen an den verstorbenen Menschen in sich wachrufen können. Am Ende darf es ein Stück sein, die auch schon wieder auf die Welt und das Leben draussen im Alltag hinweist.

Am berührendsten ist natürlich Livemusik, Gesang zum Beispiel mit Klavierbegleitung. Oder eine Jazzcombo. Wenn das – wie leider meistens – nicht gewollt wird, spiele ich die Musik von einem Tonträger ab. Gewünscht wird alles Mögliche, von klassischer Trauermusik über Jazz bis zu modernen Poptiteln. Ich mag es, wenn die Angehörigen originelle und ausgefallene Stücke hören möchten. Eine der emotionalsten Abdankungsfeiern, die ich gestalten durfte, galt einem Mann, der im Alter von 55 Jahren gestorben war. Er hinterließ, neben seiner Frau, drei Töchter: 19, 20 und 21 Jahre alt. Sie wünschten sich je einen Titel für ihren Vater: «Knockin’ On Heaven’s Door» von Bob Dylan, «Wish You Were Here» von Pink Floyd und «Stairway To Heaven» von Led Zeppelin.

Zwei weitere wichtige Elemente einer Trauerfeier möchte ich noch erwähnen, eins, das sein muss, und eins, das sein kann. Unerlässlich ist das Schweigen. Die Stille. An einer Stelle wird nicht geredet und spielt keine Musik. Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen und gedenken still der verstorbenen Person. Das ist ein Gebot der Pietät.

Das optionale Element, das sind Rituale. Wobei ich das Wort schon halb wieder zurücknehme, weil es falsch verstanden werden könnte. Was ich damit meine, sind einfach kleine symbolische Handlungen. Zum Beispiel dass die Trauergäste gleich zu Beginn oder am Ende der Feier eine Kerze anzünden und in ein Sandbecken stellen. Oder dass die Enkelkinder kleine Blumengebinde bei der Urne niederlegen. Was auch hierher gehört, ist der Brauch, dass nach der Urnenabsenkung jeder Trauergast ein Moosröschen in das Urnengrab wirft. Solche symbolhaften Handlungen helfen, das eigentlich Unbegreifliche, das mit dem Tod eines nahestehenden Menschen geschehen ist, ein kleines Stück weit be-greifbar zu machen.

Das mit den Ritualen wird manchmal auch anders interpretiert und praktiziert. Da kann es dann sein, dass jemand in seltsame Gewänder gehüllt exotische Tänze aufführt und farbige Bänder schwingt. Oder dass die «vier Elemente» angerufen werden, um sie der Seele des Verstorbenen gewogen zu machen. So etwas ist nicht mein Ding. Ich bin allem Esoterischen abhold.

Ich bin ein säkularer Mensch, aber nicht dogmatisch. Wenn jemand wünscht, dass bei einer Trauerfeier das Vaterunser gebetet wird, dann habe ich kein Problem damit, es den Anwesenden vorzusprechen.

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Warum überhaupt eine Abschiedsfeier?

Nicht alle Verstorbenen werden auf ihrem letzten Weg von Angehörigen oder Freunden begleitet. In grösseren Städten soll es vorkommen, dass der Friedhofsmitarbeiter beim Absenken einer Urne ins Grab mutterseelenallein dasteht – und dann selber ein paar Worte ins Leere spricht.

Manche Hinterbliebenen scheuen eine öffentliche Abdankungsfeier eventuell aus Bescheidenheit, oder weil sie befürchten, dass es ihnen emotional «zu viel wird». Ich glaube aber, dass man, wenn man auf eine Feier verzichtet, weder sich selber noch dem Toten einen Gefallen tut.

Jedes Menschenleben hat es verdient, nach dem Tod noch einmal in seiner Einzigartigkeit gewürdigt zu werden. Und man sollte denjenigen, die den verstorbenen Menschen gekannt und geschätzt haben, nicht die Möglichkeit nehmen, ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten, wenn sie dieses Bedürfnis haben. Aber gerade auch den Angehörigen selber kann eine gestaltete öffentliche Trauerfeier eine Hilfe sein. Das gemeinschaftliche Abschied feiern mit anderen Menschen zusammen, in einem geschützten rituellen Rahmen, tut wohl, gibt Kraft und hat eine heilende Wirkung. Die Gemeinschaft nimmt die eigene Trauer nicht weg, aber sie hilft, sie zu tragen. Es tut einfach gut, sich unter Tränen zu umarmen und sich aneinander festzuhalten. Und gleich darauf wieder freudige Erinnerungen auszutauschen, dabei vielleicht sogar zu lachen.

Das gemeinsame sich Erinnern und das gemeinsame sich Auseinandersetzen mit dem Tod im Rahmen einer gestalteten Feier kann (wie es in dem Buch «Die Bestatterinnen» von Doris Hochstatter-Koch und Karin Koch Sager so schön formuliert ist) «dazu helfen, dass auch das Herz begreift, was der Verstand bereits weiss».

Ich habe die Entscheidung, mich als Abschiedsredner zu etablieren, nie bereut. Es ist eine erfüllende und eine sinnhafte Tätigkeit. Man bekommt viel zurück von dankbaren und im besten Falle auch getrösteten Hinterbliebenen. Es ist auch eine bereichernde Tätigkeit, denn man erfährt viel über fremde Schicksale: In jedem Hinterbliebenengespräch wird ein Lebensbuch vor einem aufgeschlagen. Das ist ein Geschenk.

Schliesslich und endlich lernt man als Abschiedsredner, «dem Tod ins Antlitz zu schauen». Man überwindet die Scheu davor, sich mit dem Tabuthema Tod zu beschäftigen. Für mich ist es eine gute Art, mich in der «ars moriendi» zu üben. Wobei ich das allerdings nicht wörtlich als «Kunst des Sterbens» übersetzen möchte, sondern im Sinne von: «Kunst, mit dem Tod zu leben».

 

Jörg Bertsch
Abschiedsredner
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Bildlegenden:

  • Jörg Bertsch auf dem Friedhof Hörnli bei Basel (Bild oben). Foto: Roland Schmid
  • Waldbestattungen haben ihre eigene Stimmung und Würde. Das Bild in der Mitte entstand im FriedWald® Kölliken. Foto: zVg